Eckhard Stein, Vorsitzender und Präsident der Landesvertretung der Handwerkskammern Niedersachsen e.V. (3.v.r.) und Corina Reifenstein, Präsidentin der Handwerkskammer Cottbus, (2.v.r.) begrüßten die Vertreterinnen und Vertreter der 17 norddeutschen Handwerkskammern zur zweitägigen Tagung in Schlepzig.
© HWK Cottbus/L. Renner
Nordkonferenz des Handwerks fordert entschlossenes Handeln zur Fachkräftegewinnung
Demografischer Wandel verschärft Engpässe – Praktika, Inklusion, Zuwanderung und neue Ansätze im Fokus.
18. November 2025
Schlepzig/Ostfriesland. Die Spitzenvertreterinnen und -vertreter der 17 norddeutschen Handwerkskammern haben auf ihrer diesjährigen Tagung zentrale Weichenstellungen für die Fachkräftesicherung nicht zuletzt vor der Verschärfung durch den bevorstehenden Renteneintritt der Baby-Boomer diskutiert. Die zweitägige Nordkonferenz fand am 17. und 18. November im Handwerkskammerbezirk Cottbus in Schlepzig statt und stand unter dem Leitthema „Fachkräftesicherung unter verschärften demografischen Bedingungen.“
Die Konferenz wurde eröffnet durch den Vorsitzenden der Landesvertretung der Handwerkskammern Niedersachsen (LHN), Präsident Eckhard Stein, und die Präsidentin der Handwerkskammer Cottbus, Corina Reifenstein. In einer Videobotschaft stellte Daniel Keller, Minister für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klimaschutz des Landes Brandenburg, die aktuellen Maßnahmen seines Landes zur Fachkräftesicherung vor und betonte die Notwendigkeit gemeinsamer Strategien von Politik, Kammern und Betrieben.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Handwerkskammern tauschten sich nachfolgend in mehreren thematischen Blöcken zu erprobten und neuen Wegen der Fachkräftegewinnung aus.
- Ein zentrales Thema war am ersten Konferenztag die Stärkung des Praktikums als Brücke zwischen Nachwuchs und Betrieb. Burghard Grupe, Hauptgeschäftsführer der HWK Magdeburg, präsentierte Erfahrungen mit der Praktikumsprämie in Sachsen-Anhalt, während André Schellhase (HWK Cottbus) die Entwicklung einer neuen landesweiten Praktikumsplattform in Brandenburg vorstellte.
- Wie junge Menschen durch experimentelle Formate für das Handwerk begeistert werden können, zeigten Projekte wie Sommercamps oder spezielle Social-Media-Kampagnen unter dem Titel #hANDWERgOESsOCIAL. Praxisberichte aus Betrieben – darunter die WVG Wärmeversorgungsgesellschaft mbH Cottbus und die Bäckerei Wahn aus Vetschau – machten deutlich, dass erfolgreiche Nachwuchsarbeit Zeit, Kreativität und verlässliche Unterstützung benötigt.
- Am zweiten Konferenztag rückten Themen wie Inklusion und Integration Zugewanderter stärker in den Mittelpunkt. Christian Jakobitz und Franziska Ulm (HWK Cottbus) präsentierten erfolgreiche Beispiele inklusiver Ausbildungsstrukturen, während Ina-Maria Heidmann (HWK Hildesheim-Südniedersachsen) das niedersächsische Projekt IFHa als Modell für gelingende Integration vorstellte.
- Auch die gezielte Ansprache von Studienzweiflern sowie -aussteigerinnen und -aussteigern für einen Neustart in einen beruflichen Bildungsweg zeige neue Perspektiven für beide Seite auf, so Dr. Tobias Roeder (LHN). Er machte deutlich, dass diese Neuausrichtung neue Anforderungen an die Studienberatung in den Hochschulen stellt.
- Schließlich erörterte Katja Mikus (HWK Hannover), wie gezielte Maßnahmen auf Kammerebene die Ansprache und Bindung von Frauen in handwerklichen Berufen verbessern können. Dabei stellte sie jedoch grundsätzlich klar, dass die Kinderbetreuung gerade für junge Frauen einen maßgeblichen Rahmenfaktor darstellt.
Gemeinsamer Appell der Nordkonferenz:
Die Nordkonferenz betont, dass die Fachkräftesicherung im Handwerk vor dem Hintergrund der anstehenden Herausforderungen zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe geworden ist. Die Handwerkskammern setzen sich mit einer Vielzahl von Angeboten an ihren Standorten aus eigenem Antrieb und ihrem Selbstverständnis vor Ort ein, um auf die ausgesprochen attraktiven und zukunftsorientierten Ausbildungsmöglichkeiten im Handwerk aufmerksam zu machen.
Die Handwerkskammern fordern in ihrem Verbund der Nordkonferenz ein entschlossenes, koordiniertes Vorgehen von Bund und Ländern, um den wachsenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken. Es wurde kürzlich wieder klar, dass nach wie vor Fachkräfte fehlen werden – auch um die gesetzten Klimaziele 2035 zu erreichen. Zudem erfordern 2,9 Millionen junge Menschen ohne Ausbildungs- oder Studienabschluss das entschlossene Handeln der Politik:
Zentrale Forderungen sind:
- Ausbau praxisnaher Berufsorientierung beginnend mit einem flächendeckend verbindlich anzubietenden benoteten Werkunterricht bereits in den Grundschulen und der Einführung der erfolgreichen Praktikumsprämie nach dem Vorbild Sachsen-Anhalts in allen norddeutschen Bundesländern, um mehr jungen Menschen für berufliche Bildungswege zu begeistern.
- Unterstützung von erfolgreichen Inklusionsbeispielen in Betrieben durch öffentliche Herausstellung vorbildlicher Best-Practice Beispiele und Informationskampagnen zu den öffentlichen Unterstützungsmöglichkeiten.
- Stärkung der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund durch gezielte Sprachförderung und Ausweitung der Ausbildungsduldung auf die sogenannte Einstiegsqualifizierung (EQ) durch einheitliche Verwaltungsverfahren in allen norddeutschen Bundesländern, um die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Ausbildungsverlauf zu verbessern.
- Stärkung der klischeefreien Berufswahl in den Schulen und Unterstützung von Projektinitiativen der Handwerkskammern speziell auch zur Gewinnung von Frauen für die gewerblich-technischen Handwerksberufe sowie Sicherstellung einer flächendeckenden Kinderbetreuung zur Entlastung von Eltern.
- Überprüfung aller Bildungsmaßnahmen der Länder und des Bundes auf die gleichgewichtige Stärkung der beruflichen und akademischen Bildung. Dieses gilt mit Blick auf die Unterstützung der jeweils erforderlichen Bildungsinfrastruktur und die Steigerung der Attraktivität einer Ausbildung, z.B. durch die Einführung eines flächendeckend gültigen Azubi-Tickets.
„Das Handwerk zeigt tagtäglich, dass es Lösungen schafft – für die Energiewende, die Digitalisierung und die regionale Versorgung. Damit das so bleibt, braucht es Menschen, die mit anpacken. Politik, Bildungseinrichtungen und Betriebe müssen an einem Strang ziehen“, lautet das Fazit der Nordkonferenz 2025.
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