Manfred Richter (r.) mit seiner Frau Petra (l.). Der Schriftsetzermeister wurde von der Handwerkskammer für sein 50-jähriges Meister- sowie sein 40-jähriges Betriebsjubiläum geehrt.
© HWK/J. Stöppel

Zwischen Bleilettern und Digitalisierung

Manfred Richter aus Borkum blickt auf 50 Jahre Schriftsetzerhandwerk und die Entwicklung seines Berufes zurück.

21. August 2025

Ostfriesland. Ein leises metallisches Klirren dringt aus dem Wohnzimmer eines kleinen ostfriesischen Hauses auf der schönen Nordseeinsel Borkum. Manfred Richter öffnet gerade den schweren Setzkasten. Zwischen den Fingern des 74-Jährigen gleiten winzige Bleilettern, Buchstabe für Buchstabe in den Winkelhaken – eine Bewegung, die heute fast vergessen scheint. Doch für Richter ist sie Teil eines halben Jahrhunderts Handwerkskunst: Seit 50 Jahren ist er Schriftsetzermeister, 40 Jahre führt er die Druckerei seiner Familie auf der Insel. Dafür ist er von der Handwerkskammer für Ostfriesland kürzlich geehrt worden.

Aber zurück an den Anfang der Geschichte. Sie beginnt 1967. Manfred Richter, der auf Borkum geboren und aufgewachsen ist, hat gerade die Schule abgeschlossen und ist sich unsicher, wo ihn die berufliche Reise hinführen soll. „Mein Vater war auch Schriftsetzer, hatte seine eigene Druckerei. Er hat mir dann vorgeschlagen, seinen Beruf zu erlernen – so bin ich da irgendwie reingerutscht“, erzählt er schmunzelnd. Also verlässt er im Alter von 15 Jahren erstmals die Insel, zieht für die Ausbildung nach Oldenburg und lernt in der Traditionsdruckerei Isensee, was es heißt, im grafischen System zu denken: „Nicht in Zentimetern, sondern in Punkt wird gerechnet. Der Setzkasten folgt nicht dem Alphabet, sondern der Häufigkeit des Vorkommens eines jeden Buchstabens. Das musste sitzen, damit man zügig vorankam“, erinnert er sich an diese Zeit.

Nachdem er seine Lehre 1970 erfolgreich beendet, bleibt er zunächst für zwei weitere Jahre in seinem Ausbildungsbetrieb. Im Sommer 1972 lernt er schließlich seine spätere Frau Petra kennen. Gemeinsam zieht das Paar in die Nähe ihrer Heimat Bad Harzburg, kehrt aber schon nach wenigen Monaten auf die Insel zurück, da Manfred Richter im elterlichen Betrieb dringend gebraucht wird. Das kommt ihm nicht ungelegen, denn schon länger reift in ihm der Wunsch heran, den Meistertitel am renommierten Hauchler-Studio in Biberach an der Riß zu erwerben. „Da die Schule sehr gefragt war, musste ich aber anderthalb Jahre auf einen Platz warten“, so Richter. Eine Zeit, die er im väterlichen Betrieb sinnvoll überbrückt.

1975 war es dann endlich so weit. Als einer der Jüngsten legt er nach elf Monaten Vollzeit-Unterricht seine Meisterprüfung erfolgreich ab, übernimmt anschließend gemeinsam mit seinem älteren Bruder den Familienbetrieb und erlebt die Hochzeiten des Handwerks: „Von medizinischen Formularen über Grußkarten bis hin zu Kinoflyern haben wir alles angefertigt. Und alles wurde von Hand gesetzt – Buchstabe für Buchstabe. Junge Leute können sich das heute gar nicht mehr vorstellen.“ Besonders ist ihm die Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum der Kirche Maria Meeresstern in Erinnerung geblieben – der erste große Auftrag, der mit einer Setzmaschine gestemmt wurde.

Doch auf die goldenen Jahre folgt schon bald eine neue Ära. Mit der zunehmenden Digitalisierung verschwinden nach und nach die handgesetzten Zeilen und Computer ersetzen das jahrhundertealte Handwerk. „Natürlich haben wir uns dieser Entwicklung angepasst. Trotzdem konnten wir als kleine Druckerei preislich irgendwann nicht mehr mithalten“, erklärt der Handwerksmeister. Existenzängste habe er aber nie gehabt. „Das Ganze war ein schleichender Prozess und ich war keine 20 mehr. Dementsprechend war ich mir sicher: Bis sich das vollständig durchsetzt, bin ich in Rente.“ Und so kam es dann auch. Zwar besteht seine Druckerei offiziell noch, doch vor rund zehn Jahren hat Manfred Richter den wohlverdienten Ruhestand angetreten und übernimmt nur noch gelegentlich kleinere Aufträge.

Dass es sein Handwerk, so wie er es erlernt hat, heute nicht mehr gibt, findet er manchmal ein bisschen schade, gleichzeitig sei es für ihn aber der natürliche Lauf der Dinge und eine logische Konsequenz des technischen Fortschritts. Was er der nächsten Generation dennoch mitgeben möchte? „Handwerk hat nach wie vor goldenen Boden. Es gibt viele tolle Ausbildungsberufe und Weiterbildungsmöglichkeiten. Man muss nur mit Begeisterung und Interesse dabei sein – dann kann man es weit bringen.“

Hintergrund:
Der Beruf des Schriftsetzers prägte über 500 Jahre lang das Druckhandwerk. Schriftsetzer – auch Bleisetzer genannt – waren wahre Könner in Typografie und Gestaltung, setzten Bücher, Zeitungen und Plakate von Hand oder später an Maschinen. Neben Fingerfertigkeit waren auch Rechtschreibkenntnisse und ein gutes Auge für Ästhetik gefragt. Mit der Digitalisierung verschwand der Beruf fast vollständig – geblieben sind die Geschichten und die Leidenschaft für das gedruckte Wort.

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Manfred Richter © HWK/J. Stöppel (7,26 MB)
BU: Manfred Richter (r.) mit seiner Frau Petra (l.). Der Schriftsetzermeister wurde von der Handwerkskammer für sein 50-jähriges Meister- sowie sein 40-jähriges Betriebsjubiläum geehrt.

Winkelhaken © HWK/J. Stöppel (7,90 MB)
BU: Ein Relikt aus einer fast vergessen Zeit: der Winkelhaken. Lange Jahre war er Teil der täglichen Werkzeuge, mit denen Manfred Richter gearbeitet hat.

Anzeige © HWK/J. Stöppel (4,43 MB)
BU: Eine alte Werbeanzeige von Manfred Richters Druckerei.

Broschüren © HWK/J. Stöppel (7,67 MB)
BU: Ein Auszug aus den Produkten, die Manfred Richter in seiner Druckerei hergestellt hat.